Montag, 4. April 2011

Ich glaub Doreen knutscht ein Lama







Aufbruch in Arica. Am Busbahnhof
schleppen ältere Frauen säckeweise
frische Beute in den Bus. 
Peru. Gewaltige Berge. Faszinierende Inkas. Wundervolle Landschaften. Klar, sowas zeigen die allseits bekannten Dokumentationen immer gerne. Aber ich hatte echt Respekt vor dieser Etappe unserer Südamerika-Reise. Was musste ich in den letzten Wochen für finstere Geschichten über dieses Land lesen und hören. Taschendiebe überall. Taxientführungen an der Tagesordnung. Zwei lebend begrabene Touristen, damit Gangster ungestört deren Kreditkartenkonten leer räumen konnten. Allerdings kaum eine Geschichte aus erster Hand. Sondern fast alles Storys, die jemand kennt, der sie von jemand kennt der… und so weiter. Keine Ahnung, was davon wahr ist und was nicht. Aber eines ist Tatsache: Doreen und ich, wir sind jetzt seit zwei Tagen in Peru unterwegs. Und werden praktisch ständig überrascht. 

Unser Bus nach Arequipa.
Vor dem Einsteigen bitte
Taschen öffnen und Metalldetektor
und Kamera erdulden. Damit keine
Gauner an Bord kommen. 
Erste Überraschung: der Busbahnhof in Tacna, unser Umsteige-Halt zwischen Arica, unserer letzten Station in Chile, und Arequipa, unserem ersten Etappenziel in Peru. Obwohl ein Busbahnhof in einem der ärmsten Länder von Südamerika, kann ich keine Spur von Verfall und Armut erkennen. Das ist ein recht moderner Bau im Vergleich zu etlichen Terminals in Chile, Argentinien, Paraguay sowieso. Trotzdem hat das Ding Charakter. In einem Bereich bereiten sich unzählige Frauen und Männer aus, haben säckeweise Klamotten, Kokablättern, DVD-Kopien und was-weiß-ich-mehr am Boden liegen. Sie bereiten sich auf die Weiterreise vor - sie sind der Herzschlag des peruanischen Handels, sie transportieren die Waren von A nach B. Tante Emma in den Anden, sozusagen. Wir vertreiben uns zwei Stunden Warten mit Gucken, Geldwechsel - zu fairem Kurs - und Genuss: zwei Eis, ein Kaffee, eine Fanta für zusammen zwei Euro.  
Der Weg nach Arequipa führt durch
atemberaubende Wüsten und Berge.
Die zweite Überraschung: unser Bus. Ich bin aus Argentinien riesige Luxusbusse mit allem Komfort gewohnt, aber dieses Monster von Cruz del Sur schlägt alles. Vier Achsen, zwei Stockwerke, Bedienung durch eine Stewardess, lümmeln auf wundervoller Bestuhlung. Die kompletten 400 Kilometer für knapp neun Euro inklusive Empanada, Plätzchen, Getränk und drei nagelneuen Kinofilmen als Unterhaltungsprogramm. Wir haben zwei Tage vor Abreise reserviert, und kriegen daher das volle Panorama: oberes Stockwerk, direkt an den Frontfenstern. Das heißt, volle Aussicht auf die Anden während der sechs Stunden dauernden Reise.

Blick vom Balkon unseres Hotels
in Arequipa. Am Horizont begrüßt uns
jeden Morgen der "Chachani",
ein 5.800 Meter hoher Vulkan.
Die Fahrt führt  von Tacna auf annähernd Meereshöhe durch nordwestliche Andenausläufer bis nach Arequipa, und sie überwältigt uns mit Eindrücken. Die ersten paar Kilometer weichen die staubigen Sandebenen nur zögerlich ein paar schüchtern knospenden Hügelchen. Dann wachsen die Felsen; gewinnen an Struktur; recken sich stolz empor; bilden scharfe Ecken und Kanten aus; bald beeindrucken dich die schroffen Formen und Strukturen, und in der Ferne schimmern die ersten 6000er am Horizont. Teils fräst sich die Straße als kilometerlange Gerade durch diese bizarre Landschaft, teils windet sie sich in wirklich haarsträubenden Kurven und Gefällen um Zinnen und Schluchten herum. Merke: Für die nächste Fahrt nochmal drüber nachdenken, ob wir das alles wirklich aus der ersten Reihe sehen wollen. 

Andererseits, so einiges prägt sich echt ein. Zum Beispiel der Moment, als wir irgendwann um eine Kurve biegen, und aufeinmal baut sich eine mächtige Wand aus orangem Sandgestein vor uns auf. Als wäre eine, einen Kilometer hohe Welle aus Sand direkt vor uns zu Stein erstarrt. Umwerfend. Kaum dass ich ausgeatmet habe, steuert unser Bus aus der Sandwüste heraus und sinkt in ein Tal aus grünen Wiesen und saftigen Weiden. Schwarzweiß gefleckte Kühe grasen, buntbekleidete Frauen ernten Mais und Kartoffeln. Eine ganz andere Landwirtschaft, so natürlich und irgendwie ehrlich. Ich hab das Gefühl, die Menschen hier lieben noch ihr Obst und Gemüse. Tatsächlich decken sich bei einem kurzen Zwischenhalt nur wenige der hungrigeren Fahrgäste mit Chips, Schokolade und anderem Fastfood ein; stattdessen kehren etliche mit "Choclo", also Mais, oder seltsamen braunen Eiern zurück: "Saltenas", wie ich später lernen sollte. Teigtaschen mit wechselnden Füllungen. Lecker, unbedingt ausprobieren! 

In einer Manufaktur für
Alpaca-Wolle zeigt uns
diese nette junge Dame,
wie sie ihren nächsten
Schal selbst webt. 
Nächste Überraschung: unsere Bleibe in Arequipa. Wir drehen mal nicht jeden Peso um, sondern haben ein Hotel reserviert. Es trägt den schönen Namen "Posada el Castillo". Die Beschreibungen einiger Gäste auf www.tripadvisor.com waren einfach zu einladend. Zimmer in einem alten Herrenhaus im Kolonialstil, mit großem Empfang, knarrender Holztreppe, umgeben von einem wunderschönen Garten, alles sehr gepflegt und bunt gemischtem Frühstückbuffet als Guten-Morgen-Kuss. Und das Beste daran: alles wahr. Wir haben ein riesiges Zimmer mit wundervollem Bad und tollem Balkonblick auf den "Misti" - einen 5.822 Meter hohen, noch immer aktiven Vulkan. Außerdem können wir endlich mal wieder kuscheln in blütenweißer, fleckenloser Bettwäsche. Und das für 29 Euro pro Nacht!

Der schönste Platz in Arequipa heißt
Plaza de Armas. Irgendwas mit Waffen,
wie fast überall in Südamerika. Sie
lieben ihre militärische Vergangenheit.  
Der "Misti", ein aktiver
6000-Meter-Vulkan, knapp 15 
Kilometer von Arequipa entfernt. 
Ausbruch überfällig... 
Selbst mitten in Arequipa
kannst noch Bäuerinnen treffen,
die ihr Vieh durch die Wiesen treiben.
Der Plaza de Armas bei Nacht...
Nächster Tag, noch ´ne Überraschung: Arequipa selbst. Die Stadt wurde 1540 gegründet. Liegt 2.700 Meter über dem Meer, und versammelt nach Einschätzung hiesiger Reiseführer knapp 1 Million Einwohner. Perus zweitgrößte Stadt. Soviel zu den Zahlen. Wie ich so mittendrin stehe, wirkt Arequipa sehr kontrastreich auf mich. In den Straßen jagen hunderte winziger Taxis durch die Straßen, wie rote Blutkörperchen durch die Venen;  in einem völlig überfüllten Collectivo-Kleinbus wird ein Mädchen eingezwängt, so dass ihre Nase platt gegen das Fenster drückt. Hektik pur. Aber drumherum geben etliche alte Kolonialbauten ein Bild der Ruhe ab. Viele der älteren Gebäude sehen schon deshalb so interessant aus, weil sie aus "Sillar" gebaut sind - einem charakteristischen weißen Vulkangestein. Mich verblüfft aber eher das harmonische Stadtbild, ganz ohne störende Megabauten, abrisswürdige Bauruinen und endlose Barackenreihen, die man sonst fast überall in Südamerika gerne übersehen würde. Hier dagegen, die vielen wunderschönen Kirchen und Herrenhäuser, sie werden echt gehegt und gepflegt. Zumindest das Zentrum von Arequipa erinnert mich an die schöneren Ecken in Barcelona oder Paris. 
  
Abseits vom Zentrum finden sich
viele, fast einsame Gassen wie
diese.   

Den Bub haben wir im Hof
einer Schule für Kunst und
Malerei entdeckt. Ganz schön frech!



Und so spazieren Doreen und ich den ganzen Tag lang durch charmante Gassen; genießen in der Einkaufszone einen leckeren Frozen Joghurt mit Früchten; lassen uns etwas abseits vom Trubel in einer Alpaca-Manufaktur den Unterschied zwischen Lama und Guanaco erklären, und wie wolligweiche Pullover mit bunten Inkamustern entstehen. Außerdem treffen wir ein paar süße Lamas beim dösen - Doreen ist glücklich.  Als der Abend hereinbricht, plaudern wir mit einem knorrigen alten Mann über gefüllte Kartoffeln (Klick für Rezept) und kaufen ihm ein paar davon ab; stecken beim Obsthändler um die Ecke ein paar Vitamine ein; bitten den Weinhändler um eine gute Flasche. Wobei ich ihm mit meinen schlichten Spanischkenntnissen erfolgreich beibringe, dass ich mangels Korkenzieher eine mit Schraubverschluss benötige - bin ein bisschen stolz ;-) Und so lassen wir den Tag auf unserem Balkon bei gesundem Abendessen und einem Glas Weißwein ausklingen. Mag sein, dass unsere Weltreise bisher oft anstrengend ist, und dass sie sich erstaunlich selten nach Urlaub anfühlt. Aber heute tut sie das schon. Der Name Arequipa ist übrigens aus der Ureinwohner-Sprache Qechua abgeleitet und bedeutet soviel wie "ja" und "bleiben". 

Das Kolonialhaus "Mansion del
Fundador" stammt aus dem 16.
Jahrhundert. Doreen inspiziert
die Küche.
Kann ich gut verstehen,  
Richard 








Die Kathedrale von
Arequipa. Bei Nacht
besonders schön.

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