Freitag, 18. November 2011

Wanaka oder: 3000 Fuss über dem See... (mit Video!)



Der Kiwi hat das Fliegen verlernt. Wenn aber schon Neuseelands Nationalvogel nicht mehr abhebt, dann wenigstens ich - zwecks um Neuseeland von oben zu betrachten.
Blick auf den Lake Wanaka nahe... genau, der Kleinstadt
Wanaka im Zentrum der Südinsel von Neuseeland.
Aber der Reihe nach. Wir sind mittlerweile in Wanaka angekommen. Ein kleines 5.000-Seelen-Nest mitten in den Bergen, im Herzen der Südinsel von Neuseeland. Wanaka lebt von seiner wundervollen Kessellage zwischen sattgrün leuchtenden 2000ern und einem Bergsee von einer Klarheit, als hätten ihn Elfen höchstpersönlich in einer Vollmondnacht geschöpft. Doreen und ich, wir kuscheln uns hier vier gemütliche Tage in einem putzigen Hostel namens "Mountain View Backpackers" ein, genießen die Intimität unseres charmanten Doppelzimmers und führen viele Gespräche mit anderen Reisenden. Überwiegend Deutsche und Franzosen: steht Mitteleuropa im November leer? Aufgrund seiner Lage wird Wanaka von Travellern überflutet, ja. Aber die Meute verläuft sich zwischen unzähligen Zeitvertreib-Variationen. Wandern, klettern, Skifahren in den umliegenden Bergen. Segeln, fischen, schwimmen. Abhängen am Strand des Lake Wanaka. Sich vom Powerboot durch den Clutha-Fluß scheuchen lassen. 

Holz, Leim, Baumwoll-Bahnen: Im Hangar
des Flugveranstalters restaurieren sie
einen alten Doppeldecker. 
Mein persönliches Oha-Erlebnis hatte ich allerdings woanders. Und zwar rund zehn Kilometer südlich der Stadt, da wo sich der Flughafen auf einer kleinen Ebene ausbreitet. Das Wort "Flughafen" grenzt vielleicht ein bisschen an Hochstapelei für die paar Hangars und die Piste im Grünen. Trotzdem: Als Doreen und ich daran vorbeifahren, reißt´s meine Neugier vom Sitz. Eine Werbetafel verspricht  "Learn to fly! Trials for 99 Dollars". Ui, das wäre doch was. Ein Rundflug durch diese traumhafte Berglandschaft, und das für überschaubares Geld? In dieser Hochpreis-Gegend, wo der Mountainbike-Verleih für einen Tag Radelei 50 Dollar aufruft? Vielleicht darf ich sogar selbst das Ruder anfassen, und so meinem kleinen Lebenstraum näher kommen - einmal selbst ein Flugzeug steuern? Einen Tag darauf kurzer Anruf. Flugwetter prima, Termin frei, alles klar, nichts wie hin! 

Mein Fluglehrer Ivan und ich.
Im Hangar des Veranstalters "Wanaka Flight Training" großartiger Empfang durch Peter, den Chef. Neuseeländer sind einfach die nettesten Menschen weit und breit. Begrüßen dich mit offenen Armen und einem Spruch auf den Lippen, plaudern mit dir statt nur über sich. Sehr angenehm. Peter macht uns mit Ivan bekannt, unserem Piloten für heute. "Unserem" deshalb, weil Doreen mich tapfer begleitet. Ihr ist bewusst, dass wir in das wackligste Fluggerät seit den Gebrüdern Wright einsteigen würden. Dass ich möglicherweise kurz das Ruder übernehmen dürfte. Und obwohl Doreen mich und meine Fahrweise im Auto kennt - oder vielleicht grad deswegen? - unterstützt sie die Idee und wagt sich mit an Bord unseres viersitzigen Tiefdeckers: eine Piper Cherokee PA 28, Registrierung ZK-DEB.

Meine erste Rechtskurve
an Bord der Piper Cherokee.
Ivan wirkt auf mich wie der Prototyp eines Piloten. 1,90 Meter groß, gutaussehend, Sonnenbrille, athletische Figur. Er beherrscht ein paar deutsche Sprachfetzen. Seine Eltern stammen aus dem deutschsprachigen Teil der Tschechei. Er sagt "Tschechoslowakei" dazu, aber was soll´s - ich sprech ja auch immer von Jugoslawien. Jedenfalls, wir sprechen englisch. Flieger tun das eben so. Erstmal tut Ivan so, als dürfte ich die Maschine checken. Er zeigt mir, wie ich den Ölstand im Motor kontrolliere; wie ich den Spritvorrat in den Tragflächen messe; macht mich mit ein paar wichtigen Instrumenten im Cockpit bekannt. Er demonstriert, wie ich die Spritzufuhr aktiviere; den Motor starte; Schub gebe; die Bremse löse. Sofort beginnt die kleine Piper zu rollen - und mir rutscht das Herz in die Hose. 

Kann Doreens Mut nur bewundern. Den ganzen
Flug über hat sie tapfer Fotos geschossen und Videos
gedreht. Sehen wollen? Bitte klicken

Ivan nimmt demonstrativ Füße und Hände von den Kontrollen. Ich soll die Fuhre steuern, mit den Fußpedalen. Anfangs bin ich unsicher, wieviel Pedalkraft welche Wirkung auf das Flugzeug ausübt. Aber das klappt alles einfacher als gedacht. Tatsächlich bewegt sich die Piper vorwärts, schwenkt wie gewünscht nach rechts in Richtung Startbahn. Ich glaube Ivan ist froh, dass ich seiner Bitte folge: ich möge doch jeden Kontakt mit dem Fünf-Millionen-Privatjet am Pistenrand vermeiden. Danach spricht er ein paar Dinge mit dem Tower ab, und wir stehen mitten auf dem Runway. 


"Now I will tell you how to take off, and how to fly. It´s easy." Wie bitte - ich darf den Vogel von der Piste heben? Hatte ich erwähnt, dass ich noch nie in einem Cockpit gesessen habe? Jedenfalls nicht im Cockpit eines einsatzfähigen Flugzeugs, das an der Startbahn zum Sprung bereit steht; mit laufendem Motor; darauf wartend, dass es jemand von der Leine lässt?

Und hatte offensichtlich
Spaß dabei... ;-)
 Ivan gibt mit mir gemeinsam vollen Schub, löst die Bremse. Die Piper beginnt zu rollen, beschleunigt. Sie zieht ein bisschen nach links. Ich lenke die Fuhre jetzt nicht mehr mit den Fußpedalen, sie beeinflussen nur das Vorderrad. Ab jetzt wird mit dem Steuerknüppel gesteuert. Er beeinflusst die Ruder an den Tragflächen. Ich nehme das als Symbol dafür, dass wir das Flugzeug jetzt in sein ureigenstes Element überführen: weg vom Boden, rauf in die Luft. Auf Ivans Kommando ziehe ich den Steuerknüppel etwas an mich heran, die Piper schüttelt sich kurz, dann heben wir ab - wir fliegen! Ich wage kaum zu atmen, verkrampfe meinen Finger ins Steuer. Nach wenigen Augenblicken haben wir unsere Flughöhe von 3000 Fuß erreicht. 

Meine Anspannung beginnt sich zu lösen. Ich spüre Abenteuerlust in mir keimen; beginne die Vibrationen im  Steuerruder zu spüren; will wissen, wie das Flugzeug auf Lenkkommandos reagiert. Kurzer Stups am Steuer, sofort beginnt sich das Flugzeug nach links zu neigen. Kriege nur am Rand mit, wie Doreen auf dem Rücksitz in diesem Moment seufzt und leidet. Unfassbar, wie sensibel die Kontrollen reagieren. Ivan hat mir allerdings vorher eingeschärft, dass - sollte ich ein Picknick machen, oder aus einem anderen Grund den Steuerknüppel loslassen  - sich die Fuhre sofort von selbst stabilisiert und einfach geradeaus fliegt. Jedenfalls solange, wie die Kraftstoffpumpe mehr als nur Luft ansaugt. Ganz einfach also. 

Der Clutha-Fluß. Am Tag nach unserem Überflug haben
Doreen und ich ihn uns vom Boden aus erwandert.
Ich führe den Steuerknüppel wie ein Skalpell. Löse nur ganz leichte Korrekturen aus, etwa wenn ein Windstoß uns aus der vorgesehenen Richtung treibt. Ich versuche das Flugzeug auf Höhe zu halten, steuere es über die Stadt, Roy´s Bay und den See hinweg, und versuche dem kurvenreichen Flussbett des Clutha zu folgen. Klappt erstaunlich gut. Irgendwann gewinne ich genug Lockerheit, dass ich kurz nach hinten blicke und Doreen in die Augen schaue; und ein paar Zehntelsekunden lang die Sicht in die Berge genieße. Wir haben einen tollen Tag erwischt. Strahlend blauer Himmel, kein Wölkchen weit und breit, unbegrenzte Sicht. Der Flug dauert 20 Minuten, es kommt mir wie Sekunden vor. Viel zu schnell vorbei. Bei der Landung übernimmt Ivan Motordrosselung, Landeklappen und andere Notwendigkeiten, lässt mich aber immer noch die Piste anvisieren. Holpernd, scheppernd, aber halbwegs sicher erreichen wir festen Boden. 

Eine Jak-9 aus dem
Zweiten Weltkrieg,
bereit zum Start. 
Und damit ist der Tag noch nicht zu Ende. Denn gerade als unsere fliegende Kiste ausrollt und ich sie in Richtung Hangar lenke, rückt etwas ins Blickfeld, das ich bisher nur aus dem Museum und von historischen Bilddokumenten kenne. Ein Jagdflugzeug aus der Zeit des Zweiten Weltkrieg - eine russische Jakowlew Jak-9. Der schnittige Einsitzer steht wie neu da, voll flugtauglich. Zwei Kerls wuseln drumherum, machen die Maschine offenbar für einen Start klar. Auf der Motorabdeckung ist ein Hakenkreuz-Symbol zu sehen. Ich werte das als Kennzeichen dafür, dass die Maschine einen Luftkampf gegen ein deutsches Flugzeug flog und ihn offenbar gewonnen hat. Diese Jak  war wirklich im Einsatz. Dahinter im Hangar erspähe ich ein weiteres Relikt aus den Jahren um 1940 herum: eine deutsche Focke-Wulf 190. 

Eine Focke-Wulf 190, bald wieder
einsatzbereit.
Meine Güte, als Kind habe ich etliche Bücher über diese Oldtimer verschlungen; habe Modelle davon gebaut; bin im Deutschen Museum mit leuchtenden Augen vor den Ausstellungsstücken gestanden. Und jetzt kullere ich an genau solchen Maschinen vorbei, nur dass diese hier noch in Action sind und demnächst abheben. Gerade als wir unsere Piper parken und uns ins Freie schälen, schreitet ein älterer Herr in Richtung der Jak-9. In Lederjacke und Pilotenhaube zwängt er sich ins Cockpit. 
Der Anlasser heult, der Motor startet, die Jak wendet in Richtung Startbahn. Doreen und ich stehen direkt daneben. Dass ich mal so direkt dran sein darf, wenn eines der letzten erhaltenen Jagdflugzeuge aus dieser Epoche zur Tat schreitet - kann mein Glück kaum fassen. Noch dazu nimmt der Pilot nun wirklich keine Rücksicht auf das Alter der Maschine. Tiefflug, Loopings, Schrauben: Der Pilot holt aus der Jak-9 Manöver raus, vom denen ich kaum glauben mag, dass der Konstrukteur sie jemals dafür vorgesehen hat. Einmal taucht die Maschine bedrohlich tief ab, scheint in einigen hundert Metern Entfernung in den Erdboden einzuschlagen - aber dann höre ich den Motor aufheulen und sehe sie sich vertikal in den Himmel schrauben. Fast so, als würde sie mit der Luft spielen. Neuseeland ist offenbar nicht nur reich an Naturwundern, sondern überhaupt an erhebenden Momenten. Schön, dass ich speziell diesen so hautnah erleben durfte.

 
Ich grüß dann mal die Sonne, 
Richard 


7 Kommentare:

  1. wer wäre da nicht gerne dabeigewesen?...auch ohne Looping und schade, daß dies so bald zu Ende war.
    ...und schade, daß bald ganz Schluss ist mit den spannenden Blogs, wenn ihr wieder zurückkommt.
    Einerseits schade und andererseits freun wir uns auf eure Wiederkehr

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  2. Ob ich da eingestiegen wäre. vielleicht nach guten Zureden. also dir, liebe Doreen, gratuliere das du das gewagt hast. Nach dem bild zuschließen hattes aber doch etwas zweifel. Oder täusch ich mich?
    Schade das man bei dem film die Landung nicht sieht. Aber ich denke wenn man den Film ganz sieht kommt bestimmt noch was. bin schon sehr gespannt.

    Liebe Grüße Jutta

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  3. Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein...

    Dieser Blogpost lässt mein Luftfahrt-Herz höher schlagen! :-))))

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  4. Hallo Ihr 3,

    Jutta, eigentlich hatte ich keine Zweifel wegen der Flugkünste Deines Bruders, aber vielleicht ein bisschen in so einer kleinen Maschine zu sitzen, in der Du jeden Luftzug spürst. Ist ganz anders als in einer Boeing oder so.

    Aber ich würds jedem empfehlen. Hoch mit Euch in die Lüfte und vor allem mit Dir, Sabine. Für jeden Mitarbeiter bei Euch in Luftfahrt sollte das doch Pflicht sein ;o)

    Wir freuen uns schon sehr auf Euch alle.

    Liebste Grüßle
    Doreen

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  5. Das glaub ich dir gern, Doreen. bin ja selber schon mal mit einer Chester geflogen. Das ist ganz was anderes als mit einer Boing.

    Liebe Grüße Jutta

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  6. Chester? Boing? Frauen und Technik! ;-)

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  7. :-))))

    Denk mal an Daddies 60. Geburtstag. Da hatten wir ihm einen Rundflug -Gutschein geschenkt.

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